2017-09-20

Zhujiang (Pearl River) S-201

Hier wieder mal ein Exot für meine Sammlung. Diese Kamera ist sicher kein technischer Meilenstein, aber doch wegen ihrer Herkunft sehr interessant und ich bin echt froh, eine solche ergattert zu haben. Es handelt sich um die wohl anspruchsvollste chinesische KB-Spiegelreflex und ist eine Kombination aus Basistechnik aus dem Hause Minolta und Elementen der Nikon F. Die meisten anderen chinesischen SLR sind mehr oder weniger direkte Kopien oder Klone ihrer jeweiligen Vorbilder. Zunächst waren es russische oder deutsche Vorbilder, später dann Minolta (SR) und Pentax (K-1000). In meinem letzten Post habe ich ja schon darüber geschrieben. Bei der Pearl River S-201 ging man aber über das reine Kopieren hinaus und entwickelte wegen der Kombination verschiedener Elemente eine fast eigenständige Kamera. 

Die S-201  wurde von drei Kamerafabriken produziert und bediente sich hauptsächlich Minolta's SR Technologie, die wie man munkelt das kommunistische China in Lizenz erworben und an einige Kamerafabriken weitergegeben hatte. Die Technologie war über 10 Jahre alt, in Japan wurden Mitte der 70er schon ganz andere Kameras geplant und gebaut! Neben dem SR-Bajonett hat die S-201 fast identische Ausmaße wie die gute alte SR-Serie, dann wurde aber auch noch ein gutes Stückchen Nikon F "eingekreuzt", was sich Wechselsucher, der Position der Objektiventriegelung oder dem Aufsteckblitzschuh für die Rückspulkurbel sehen läßt. Leider hat mein Exemplar nur den Lichtschachsucher, wenn man Bilder mit dem Prismensucher sich anschaut, erkennt der Fan sofort die Ähnlichkeit mit der Nikon F. 
Auch das Objektiv ist im damaligen Nikon Design gehalten, auch wenn es sich optisch um eine chinesische (vermutlich 1:1) Kopie des russichen Helios-44 handelt, welches wiederum eine Zeiss Biotar 58 mm f/2 Kopie war, ein Objektiv, das 1936 auf den Markt kam!

Pearl River S-201 von 1974 mit ihren beiden Technik und Ideenspendern, die beide 1959 in Japan auf den Markt kamen
Die drei Fabriken waren die Mingguang Machinery Factory ("M"), Jinguang Instrument Factory ("J") und Yonggunag Instrument Factory ("Y"),  alle drei in der Provinz Sichuan irgendwo in und bei Chongqin bzw. Chengdu. Diese Basisinformation find man im Verzeichnis von Chinesecamera.org, leider gibt es nicht viel mehr her. Allerdings gibt es einen sehr langen Forumseintrag von 2009 von einem Nutzer namens LeeSobing, der aber eine recht unverständliche englische Maschinenübersetzung von einem anderen chinesischen Forumsbeitrags gepostet hat. Letzterer ist leider heute nicht mehr auffindbar, um ihn erneut über eine bessere Maschine zu jagen oder gar von einem chinesischen Kollegen übersetzen zu lassen, zu schade! Hier ist kurz auf deutsch, was ich da rausgelesen und interpretiert habe: 
1972 entspannte sich Chinas außenpolitische Situation, insbesondere durch diplomatische Annäherung zu den USA. Daher ging der Bedarf an feinmechanischen Rüstungsgütern (Gewehre, Zielfernrohre, etc.) zurück und die Führung erlaubte oder befahl den Fabriken im Februar 1973 auf zivile Güter umzustellen. Für fünf Fabriken in der Sichuan Provinz wurde diese Kamera auserkoren, die auf Basis des "Shanghai Seagull DF-Typs" (Minolta SR Lizenz) entstehen sollte, allerdings modifiziert mit 10 Ideen inspiriert von der Nikon F. Die Mingguang Fabrik begann 1974 mit Hilfe und freimütiger Unterstützung der Seagullfabrik(en) in Shanghai die Kamera zu entwickeln. 1975 und 1976 wurden ca. 50 Prototypen sowie Werkzeuge für Komponenten gebaut, 1977 ging endlich die Massenfertigung los. In diesem Jahr wurden die ersten 705 Exemplare gebaut. Die drei genannten Fabriken besorgten die Endmontage, die anderen lieferten Komponenten. Als Marke hatte man sich schon früh auf Pearl River (Zhujiang oder Zhe Jiang) geeinigt, einfach weil es eine bekannte Kameramarke war. Eine Fabrik in Guangzhou (Kanton) produzierte schon seit Jahrzehnten Rollfirmkameras unter diesem Namen. Und man hatte von Beginn an den Export dieser Kamera zwecks Deviseneinnahmen im Auge, wie die zweisprachige Bedienungsanleitung beweist. Ab 1986 kam es dann doch zum Zwist bezüglich der Marke Pearl River und langsam wurde Markenrecht auch in China eingeführt. Man musste "Pearl River" dem älteren Rechteinhaber in Guangzhou überlassen und die S-201 wurde wohl ab Anfang der 90er unter der neuen Marke Mingca (Mingguang Camera) verkauft. Die einzelnen Fabriken mussten auch zwischenzeitlich umziehen und wurden umbenannt. 
Der Seriennummer kann man ansehen, in welcher Fabrik endmontiert wurde (bei meiner ein J, also Jinguang). Ich glaube, dass die zwei Ziffern hinter diesem führenden Buchstaben das x-te Jahr der Produktion angeben, bei mir also 12 = ca. 1986?  

Auf eine Sache bin ich beim Studium der Bedienungsanleitung aufmerksam geworden. Auf den Seiten 5 und 6 wird auf eine Spiegelarretierung und die Abblendtaste hingewiesen, beides fehlt bei meiner Kamera, ist aber durchaus auf Fotos anderer Kameras im Internet zu sehen. Ich kann hier nur spekulieren, dass diese Features irgendwann während des Produktionszeitraums weggelassen wurden. Auch das Objektivangebot, was auf der letzten Seite beschrieben wird kann sich von Anfang an sehen lassen. Neben einem 45-90 f/3.5 Zoom im Stil des Nikkor 43-86 gab es ein 105 mm f/2.5 und ein 35 mm f/2.3. In späteren Bildern sieht man noch mehr Objektive, das Minolta Bajonett wurde ja in China auch bei den Seagull Kameras benutzt, die Auswahl war also da. 

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